Lampenfieber - Auge in Auge mit dem Löwen (1)

Teil 1: Das Erbe unserer Vorfahren: Warum verändert sich unser Körper bei Lampenfieber?

Lampenfieber im Sport

100.000 Jahre vor unserer Zeit. Die Gruppe bewegt sich vorsichtig durch das hohe Gras. Die Blicke der Männer versuchen die dichten Halme zu durchdringen. Seit einer Stunde folgen sie bereits der Spur des Büffels, den sie erlegen wollten. Weit kann er aufgrund seiner Verletzungen nicht mehr entfernt sein. Auf einer kleinen Lichtung halten sie inne, vor ihnen bewegt sich das Gras. Was immer es auch ist, es kommt näher und hat sie anscheinend noch nicht bemerkt. Keine zwanzig Meter vor ihnen öffnet sich plötzlich die grüne Wand und der muskulöse Körper eines Löwen baut sich auf. Die Gruppe erstarrt, einige fangen an zu zittern. Nach einer kurzen Schrecksekunde erheben alle ihren Speer. Sie sind bereit für den Kampf.

Heute. Du öffnest die schwere Tür zu Halle und die bekannte Mischung aus Lautsprecher-Musik, den Anweisungen der Trainer und den Geräuschen der Rollen, die über den Hallenboden gleiten, kommt Dir entgegen. Obwohl es nicht sehr warm ist, sind Deine Hände etwas feucht vom Schweiß, als sie den Griff der Tür wieder loslassen. Der Geruch von Würstchen erreicht Deine Nase, verlässt sie aber ebenso gleichgültig wieder. Du hast keinen Hunger. Schon heute Morgen sorgte ein ganz flaues Gefühl im Magen dafür, dass Du nur ein paar Happen essen konntest. Dein Blick wandert durch die Halle und bleibt ruckartig auf einer Gruppe Mädchen in Trainingsjacken hängen. Nein! Warum ist sie heute denn auch hier? Dein Herz beginnt automatisch schneller zu schlagen, als Du an die letzten Wettkämpfe denkst, bei denen sie immer vor Dir auf dem Treppchen stand. Am liebsten würdest Du gleich wieder umdrehen und die Halle verlassen.

 

Unsere Nahrung jagen wir schon lange im Supermarkt – ohne das Risiko, darum kämpfen zu müssen. Und doch haben die beiden Geschichten eines gemeinsam: die Programmierung unseres Körpers aus der Urzeit ist immer noch vorhanden, heutzutage bekannt unter dem Begriff Lampenfieber.

Flucht oder Kampf - Hauptsache überleben!

Die Reaktionen unseres Körpers, die wir alle unter dem Begriff Lampenfieber kennen, haben sich im Laufe der Jahrtausende entwickelt, um uns erfolgreich vor Gefahren zu schützen.

Sobald unser Gehirn eine Situation als bedrohlich einstuft – der Löwe taucht vor uns auf – wird unser Körper für den Kampf oder die Flucht vorbereitet. Unsere Schaltzentrale sorgt dafür, dass verschiedene „Einstellungen“ vorgenommen werden, die uns das Überleben sichern sollen:

 

Zunächst sendet das Gehirn einen Befehl an die Nebennierenrinde, damit diese die Hormone Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol ins Blut ausschütten. Hormone fungieren in diesem Fall als Botenstoffe, die den gesamten Körper in einen „Alarmzustand“ versetzen.

  • Die Blutgerinnungsfähigkeit erhöht sich, damit die Blutung bei eventuellen Wunden schneller gestoppt werden kann.
  • Die Schmerztoleranz steigt, damit der Körper durch Schmerzen nicht abgelenkt wird.
  • Der Blutzuckerspiegel steigt, um den Muskeln mehr Energie zur Verfügung zu stellen
  • Blutdruck und Herzfrequenz erhöhen sich. Beides sorgt dafür, dass der Blutzucker schneller in den Muskeln ankommt.
  • Die Grundanspannung unserer Muskulatur erhöht sich. Durch diese Vorspannung verbessert sich die Einsatzbereitschaft der Muskeln.

Um bestimmte Fähigkeiten im Körper zu verstärken, muss gleichzeitig an anderer Stelle etwas eingespart werden. Dabei handelt es sich um Vorgänge, die im Kampf oder der Flucht einfach Luxus wären:

  • Der Hungertrieb wird reduziert
  • Verdauung kostet Energie, also wird sie so weit wie möglich verringert
  • Der Sexualtrieb spielt in einer bedrohlichen Situation keine Rolle, wird also heruntergefahren
  • Die Fähigkeit, komplex zu denken, setzt aus. In einer Bedrohung muss ich nicht kompliziert, feinsinnig oder tiefgründig denken können. Ich muss einfach kämpfen oder fliehen, der berühmte Tunnelblick setzt ein.

Lampenfieber im Sport

Alle körperlichen Reaktionen, die ich beschrieben habe, sind in vielen tausend Jahren entstanden und haben erfolgreich dazu beigetragen, unser Überleben zu sichern. Früher wie heute entscheidet unser Gehirn darüber, welcher Reiz eine Bedrohung darstellt und nicht. Wenn ich beispielsweise der Dompteur des Löwen bin, sieht mein Gehirn keine Bedrohung in ihm und eine Begegnung löst nicht die oben beschriebenen Reaktionen aus.

 

Auch im Sport gibt es Situationen, die unser Gehirn als bedrohlich einstuft, insbesondere im Wettkampf. Stresshormone werden ausgeschüttet und lösen genau die gleichen Reaktionen aus wie in der Urzeit.

Fluch oder Segen für Rollkunstläufer?

Mit einigen der körperlichen Faktoren können wir im Rollkunstlauf gut leben.

Wenn sich unsere Blutgerinnungsfähigkeit erhöht, ist das nicht hinderlich.

Ein erhöhter Blutzuckerspiegel und eine gestiegene Schmerztoleranz sind sogar von Vorteil. Die Energiereserven können wir gut für die Kür gebrauchen und sollten wir beim Sprung stürzen, hält uns der Schmerz nicht auf. Wir stehen auf und laufen einfach weiter.


Schwieriger kann es schon werden, wenn sich unsere Herzfrequenz erhöht. Das Herz schlägt bis zum Hals, uns wird heiß und wir bekommen schweißnasse Hände. Das sind alles Vorgänge, die wir spüren können und die möglicherweise dazu führen, dass wir kurz vor unserem Einsatz noch nervöser werden.

Problematisch ist auch teilweise die erhöhte Grundspannung in der Muskulatur. Die berühmten „weichen Knie“ entstehen dadurch, dass die Muskeln in diesem Zustand zittern können. Gerade beim Pflichtlaufen will ich aber sicher auf meinem Fuß stehen, eine zitternde Muskulatur führt da zu einer schlechteren Leistung.


Auch auf die Atmung kann ein erhöhter Muskeltonus sich auswirken. Die Muskeln, welche die Lunge wie einen Blasebalg steuern, erhöhen ihre Grundspannung und sind nicht mehr so locker. Dadurch atmen wir nicht mehr so tief ein und aus, sondern unsere Atmung wird flacher und schneller. Aus einem tiefen, langsamen, entspannten Atmen wird ein schnelles, oberflächliches Atmen. Die Zufuhr von Sauerstoff und der Abtransport der verbrauchten Luft verschlechtern sich.


Da Kämpfen oder Fliehen immer mit groben, schnellen Bewegungen zu tun hat, wird unsere Feinkoordination ausgeschaltet. Diese Fähigkeit benötigen wir aber natürlich beim Rollkunstlaufen.

Schlussendlich ist da noch das Problem mit der komplexen Denkfähigkeit. Wenn der Tunnelblick einsetzt, ich mich mit all meinen Gedanken nur noch auf meine Kür – die große Bedrohung – konzentriere, bin ich nicht mehr für die Hinweise meiner Trainerin offen. Mein Gehirn konzentriert sich ausschließlich auf die „Bedrohung“. Einfachste Dinge fallen uns nicht mehr ein, im Extremfall kann es sogar zu Blackouts kommen und ich vergesse meine Kür.

Wie entkomme ich dem Teufelskreis?

Wer Probleme mit Lampenfieber hat, läuft Gefahr, in einem Teufelskreis zu landen. Mit den beschriebenen Reaktionen unseres Körpers erhöht sich die Gefahr, im Wettkampf zu scheitern. Misserfolg bewirkt, dass der nächste Wettkampf von unserem Gehirn als noch größere Bedrohung wahrgenommen wird und der Teufelskreis beginnt.

 

ABER: Lampenfieber ist ein völlig natürlicher Prozess, der sich beeinflussen lässt. Wie, darüber schreibe ich im zweiten Teil dieser kleinen Serie.


weitere Artikel:

Tipps gegen Lampenfieber im Sport

Lampenfieber - Teil 2

 

Strategien gegen Lampenfieber beim Sport und obendrauf noch einige Tipps, was Du konkret im Wettkampf dagegen machen kannst.

 

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